Seelsorgliche Perspektiven zum Trend der empfundenen Einsamkeit in der immer mehr vernetzten Generation-Y

Spätestens seit 2018 ist das Thema „Einsamkeit“ wieder verstärkt in der Öffentlichkeit angekommen. Anlass dafür war Anfang des Jahres 2018 die Ernennung der ersten „Ministerin für Einsamkeit“ in Großbritannien. Im Zusammenhang damit nannte die damalige Premierministerin Theresa May Einsamkeit „die traurige Realität des modernen Lebens“. Verschiede Hilfsorganisationen sprechen sogar von einer „Epidemie im Verborgenen“[1]. Außerdem wurden in den letzten Jahren einige Studien herausgegeben, die die negativen körperlichen Auswirkungen von Einsamkeit genauer erforschten und zuweilen drastische Vergleiche zogen, wie zum Beispiel folgenden: „Laut dem in Großbritannien erschienenen Untersuchungsbericht ist Einsamkeit genauso gesundheitsschädigend wie das Rauchen von täglich 15 Zigaretten.“[2]

Das Thema „Einsamkeit“ wurde traditionell vor allem bei der älteren Generation verortet, also in derjenigen Phase des Lebens, in der man sich vom Arbeitsleben verabschiedet, Todesfälle von langjährigen Freunden und Partnern und als letzte Station den Umzug ins Altersheim erlebt. Überraschend und deutlich wurde jedoch in den letzten Jahren, dass Einsamkeit zwar ein großes Thema aller Generationen ist, sich aber ein neuer Trend in der jungen Generation und besonderes unter den jungen Erwachsenen erkennen lässt. Die stärkste Dynamik lässt sich in den Jahren 2013 und 2017 im Altersspektrum der Zwanziger beobachten. Laut der Studie „Einsamkeit in Deutschland“ vom Institut der Deutschen Wirtschaft verschlechterte sich der Wert um 29 Prozent, womit dies die Generation mit der größten Zunahme an empfundener Einsamkeit darstellt. Vereinzelt wird diese Generation Y (Menschen, die im Zeitraum von Anfang der 1980er bis Ende der 1990er Jahre geboren wurden.), die schon mit ganz unterschiedlichen Worten zu betiteln versucht wurde, auch als „Generation Alleine“ bezeichnet.[3]

Der Lebensabschnitt von jungen Leuten zwischen ihrem 18. und 30. Lebensjahr war allerdings aufgrund häufiger Ortswechsel im Zuge von Studium, Ausbildung oder Einstieg in den ersten Arbeitsplatz schon immer gekennzeichnet von der Herausforderung das Vertraute, das bestehende Beziehungsnetz zu verlassen und an einem neuen Ort neue Kontakt aufzubauen. Ein neuer Erklärungsversuch für die neue Dynamik in Richtung Einsamkeit wird bei der Nutzung der neuen digitalen Kommunikationswege und vor allem den sozialen Medien vermutet. Gleichzeitig lässt sich jedoch auch der positive Nutzen von sozialen Medien wissenschaftlich belegen, dass sie nämlich gerade über die Entfernung hinweg Kontakte erleichtern und somit der Einsamkeit entgegenwirken.[4] Doch nachweislich kann keine noch so hohe Zahl an Freunden, Follower oder Interaktionen mit Menschen auf der medialen Ebene die mögliche Vielschichtigkeit, Intensität und Qualität einer direkten unmittelbaren Interaktion ersetzen.[5] Entscheidend ist, ob diese Kommunikationskanäle in der Regel als Ergänzung zu oder Verdrängung von direkten Interaktionen mit Mitmenschen genutzt werden.

Der Bekannte Bibelvers „Es ist nicht gut, dass der Mensch allein sei.“ aus 1.Mose 2,18 steht wie eine Überschrift über diesem Thema. Der Mensch ist auf Beziehungen angelegt und wo diese Beziehungen und Interaktionen überwiegend als oberflächlich empfunden werden, fehlen diese Zentralen Verbindungen einfach.

„Wenn das individuell zuträgliche Maß an sozialem Eingebundensein, an Verbundenheit mit anderen Menschen unterschritten ist, beginnt das Leiden an der Einsamkeit.“[6]

Festzuhalten bleibt, dass sich im Augenblick, obwohl es aufgrund der technischen Entwicklung noch nie so leicht war mit jemandem in Kontakt zu bleiben oder in Kontakt zu treten wie aktuell, speziell immer mehr junge Erwachsene einsam fühlen, mit steigender Tendenz. Diese Lebenswirklichkeit begegnet uns bei den Menschen in unseren Gemeinden und bei den Menschen, die noch keine Verbindung zu Gemeinden haben.

Was bedeutet nun diese Beobachtung zur Einsamkeit für die Gemeinde und im Speziellen für die Seelsorge?

Zwei Seelsorgeformate beobachten verstärkt und auch schon länger die steigende Bedeutung des Themas Einsamkeit. Da ist zum einen das ältere Format der Telefonseelsorge, sowie zum anderen die neuere Email- und Chat-Seelsorge. Bei beiden ist das Thema Einsamkeit inzwischen das häufigste Thema. Beide Formate, geben den Suchenden die Möglichkeit, zu jeder Zeit in Interaktion mit einem Seelsorger zu treten, ohne ihr Umfeld verlassen zu müssen. [7] In beiden Formaten lässt sich jedes Jahr besonderes in der dunklen Jahreszeit, und hier speziell in der Weihnachtszeit mit ihren freien Tagen und Familienfeiern, oder aber eben nicht vorhandenen Feiern, ein Anstieg der Kontaktaufnahmen feststellen. Ansonsten ist das Thema Einsamkeit in der Seelsorge bisher vor allem in der Trauerbegleitung und Begleitung der älteren Generation verortet, welchen eine „stark beziehungs- und gemeinschaftsfördernde Dimension“[8] zugesprochen wird.

Die steigende Tendenz und große Bedeutung der empfunden Einsamkeit bei jungen Erwachsen zwischen 18 bis 30 Jahren findet sich noch nicht in den Publikationen zur Seelsorge wiedergegeben.[9] Im Folgenden sollen deshalb Beobachtungen aus dem praktischen seelsorgerlichen Umgang mit jungen Erwachsenen und der von ihnen empfunden Einsamkeit skizziert werden.

Der Mensch ist auf tiefe, vielschichte und direkte Kommunikation mit anderen Menschen angelegt. Für die Generation Y bleibt trotz der unkomplizierten digitalen Kommunikation dieses Grundbedürfnis nach direkter Interaktion bestehen. Zu kurz gegriffen ist eine pauschale „Verteufelung“ der Digitalisierung der Kommunikationsgewohnheiten und der Rolle von sozialen Medien, wie es leider oft in christlichen Kreisen verbreitet ist. Gerade die jüngeren Generationen sind immer eher technisch affin und gesellschaftliche Veränderungen lassen sich bei ihnen deutlich beobachten. Ein reflektierter Umgang mit den neuen Kommunikationswegen und -gewohnheiten sieht sowohl die Chance der schnellen Interaktion und des Nachrichtenaustausches, aber genauso die Gefahren des stark passiven Konsumierens, des verstärkten Aufbaus einer einseitigen Selbstdarstellung und der Vernachlässigung der direkten Interaktion mit Menschen in unserem konkreten Umfeld. Insgesamt lässt sich am Boom der Nutzung der verschiedenen Social Media Plattformen innerhalb der jungen Generation jedoch ein starker Wunsch ablesen, in Beziehung zu anderen zu treten und zu bleiben. Diese Sehnsucht nach Verbundenheit ist zwar Kennzeichen aller Generationen, aber die Such danach lässt sich in unserer Zeit am deutlichsten an der jungen Generation erkennen. Sehr treffend formulierte die damals 22-jährige Marina Keegan einen Satz, der meines Erachten nicht nur für sie, sondern auch für einen Großteil ihr Generation spricht und diese Sehnsucht ausdrückt: „Wir haben kein Wort für das Gegenteil von Einsamkeit, aber wenn es eins gäbe, könnte ich sagen, genau das will ich leben.“  

Ein seelsorgerliches Gespräch kann eine gute Möglichkeit sein, bei der junge Erwachsene ihre Einsamkeit zur Sprache bringen. Schon alleine das Aufsuchen eines Seelsorgers mag ein Ausdruck der Sehnsucht danach sein, in der empfundenen Einsamkeit einen Gesprächspartner zu haben, der einfach da ist und einem zuhört. Dieses Thema kann auch stark mit Scharm behaftet sein, weil die Betreffenden sich der vielen Möglichkeiten in Kontakt zu treten und zu bleiben oft sehr bewusst sind, jedoch daran scheitern. Im seelsorgerlichen Gespräch ist Raum, um über Gottes Wirken im Leben zu sprechen, Zusprüche aus dem Wort Gottes zu geben und für Gebet. In der Seelsorge geht es um den ganzen Menschen und um Gottes Wirken, welches Einfluss auf alle Lebensbereiche hat. Der Hilfesuchende soll erleben und erkennen, dass Gott in der eigenen Einsamkeit da ist und durchtragen und Kraft schenken will.

In der Verbindung zu Christus sind wir auch mit dem Leib Christi (1. Korinther 12,27) verbunden, also mit seiner Gemeinde. Wo Menschen zum Glauben kommen, werden sie Teil einer Familie und verbunden mit anderen Christen. Als deutliches Beispiel dafür wird die erste Gemeinde in Jerusalem in Apostelgeschichte 2,44-46 beschrieben.

44 Alle aber, die gläubig geworden waren, waren beieinander und hatten alle Dinge gemeinsam. 45 Sie verkauften Güter und Habe und teilten sie aus unter alle, je nachdem es einer nötig hatte. 46 Und sie waren täglich einmütig beieinander im Tempel und brachen das Brot hier und dort in den Häusern, hielten die Mahlzeiten mit Freude und lauterem Herzen von dieser Gemeinschaft.

Dieser Text drückt eine Gemeinschaft aus, die von einer regelmäßigen Verbundenheit gekennzeichnet ist, vom Teilen, zusammen essen, gemeinsam den Glauben leben. In der Generation Y steht der Wunsch nach Verbundenheit jedoch im Spannungsfeld des gleichzeitigen Verlangens nach Freiheit, Unabhängigkeit und sich nicht langfristig an etwas Bindens, wie zum Beispiel eine wöchentliche Kleingruppe oder ein Hauskreis. Verstärkt wird die Problematik durch die hohe Mobilität im Zuge der Studiums- oder Arbeitsplatzsuche und der damit verbundenen ständigen Frage, wie lange man noch an einem Ort ist und ob es sich für den überschaubaren Zeitraum überhaupt lohnt, sich fest in einer Gemeinschaft zu verankern.

Gerade in dieser hohen Mobilität der jungen Menschen können wir als Gemeinde jedoch Heimatgeber sein. Wir können Orte und Räume anbieten, wo man Menschen kennen lernen kann und wo man gesehen und gehört wird. Eine wichtige Rolle spielen dabei offene Angebotsformate, ohne Verpflichtungen, mit möglichst tiefen Hemmschwellen. Eine Möglichkeit hierbei können Gruppenangebote, Projekte oder Kleingruppen auf Zeit sein. Die für echte Beziehungen und deren hohe Qualität wichtige Beständigkeit und Verlässlichkeit können sich über die Zeit entwickeln, sollten aber nicht als Voraussetzung angesehen werden. Es geht vor allem darum, Anknüpfungspunkte zu schaffen, bei denen sich junge Menschen unkompliziert dazu gesellen können, um Kontakte zu knüpfen. Der erste Schritt hierbei ist die Schaffung von Räumen, in denen man einfach man selbst sein darf und wo sich eine einsame Person sicher fühlt.

Dabei führt allerdings kein Weg an digitalen Kommunikationskanälen und Social Media vorbei, da dies die Plattformen sind, auf denen man sich über Gemeinde, Gemeinschaft, Angebote, Gesprächspartner informiert und über welche kommuniziert wird. Sie bieten auch leicht die Möglichkeit, unter der Woche über das gemeinsame Treffen hinaus in Kontakt zu bleiben und verbunden zu sein, nicht als Ersatz der persönlichen, direkten Begegnung, sondern als Weiterführung und Ergänzung.

Dazu kommt die Frage, wie die Gemeinde den Kontakt zu Weggezogenen, zum Beispiel Studenten im Ausland oder einer entfernten Stadt, halten kann. Auch hier sollte ein Anker der Verbundenheit und immer wieder Orte des Andockens geschaffen werden. „Hierbei kann auf etablierte Formen zurückgegriffen werden: Segnungsgottesdienste, Rundbriefe, Gebetsdienste usw. Für die Beheimatung spielen auch Coaching, Seelsorge und Mentoring eine herausragende Rolle.“[10]

Zusammenfassend lässt sich sagen, dass Einsamkeit ein hoch aktuelles Thema ist, bei dem sich in allen Generation, jedoch insbesondere bei jungen Erwachsenen eine starke Zunahme beobachten lässt. Alleine dieses Wissen kann dabei helfen, sensibler und fragender auf die starke Bedeutung von sozialen Medien als ein Ausdruck der Sehnsucht nach Verbindung und Beziehungen zu schauen. Des Weiteren sollten im Gemeindekontext offene Angebote geschaffen werden, die eine direkte und unmittelbare Begegnung ermöglichen, also in der Regel „offline“. Gemeinsam das Leben teilen, zusammen essen und den Glauben leben. Es beginnt in der Regel mit einem Lächeln, einem Kaffee und einer Einladung zum Essen.

Erschienen in der Festschrift für Hartmut Bergfeld „Aus Liebe zu Gott und Gottes Wort“ 2019

Quellen:

[1] Crouch.

[2] Feuerbach.

[3] Vgl Eyerund 14.

[4] Vgl. Eyerund 15.

[5] Vgl. Stotz-Ingenlath 43

[6] Stotz-Ingenlath 42.

[7] EKD News.

[8] Morgenthaler 166.

[9] Vgl. Günther 47- 49 u. Morgenthaler 158 – 159.

[10] Mailänder 348.

Crouch,  Tracey :Großbritannien bekommt Ministerin für Einsamkeit https://www.zeit.de/politik/ausland/2018-01/tracey-crouch-grossbritannien-ministerin-einsamkeit  13.06.19.

EKD News: Einsamkeit großes Thema in Chat-Seelsorge. 21.12.2018 https://www.ekd.de/einsamkeit-grosses-thema-in-chat-seelsorge-41920.htm 13.06.2019.

Eyerund, Theresa und Anja Katrin Orth: IW-Report 22/2019 Einsamkeit in Deutschland. Aktuelle Entwicklung und soziodemographische Zusammenhänge. Instutut der Deutschen Wirtschaft. https://www.iwkoeln.de/fileadmin/user_upload/Studien/Report/PDF/2019/IW-Report_2019_Einsamkeit_in_D.pdf 14.06.19.

Feuerbach, Leonie: GESUNDHEITSPROBLEM ISOLATION: Wie gefährlich ist Einsamkeit wirklich?https://www.faz.net/aktuell/gesellschaft/gesundheit/wie-gefaehrlich-ist-einsamkeit-wirklich-15406497.html 13.06.19.

Günther, Matthias: Jugendseelsorge. Grundlagen und Impulse für die Praxis, Göttingen 2018.

Mailänder, Daniela: Wie geht’s weiter? Übergänge ins Erwachsenensalter, in: Handbuch missionarisch Jugendarbeit, hg. Florian Karcher und Germo Zimmermann, Neukirchen-Vluyn 2016, 343-352.

Morggenthaler, Christoph: Seelsorge. Lehrbuch Praktische Theologie Band 3, Güthersloh 2009.

Stotz-Ingenlath, Gabriele: Einsamkeit. Leid und Chance eines unbehaglichen Zustands: P& S Magazin für Psychotherapie und Seelsorge (04.2018) 40 – 43.


Schreibe einen Kommentar